Künstler und grosse Namen in Müngersdorf

Heinrich Böll

Weltliches Lebensgefühl verbunden
mit kirchlichen Traditionen


Text: Kurt Schlechtriemen

 

Volltext/PDF BlickPunkt Müngersdorf 10

Leseprobe – Heinrich Böll über Müngersdorf und die Müngersdorfer: 

"Trotz aller seit Kriegsende Zugezogenen, trotz aller Neubauten sind es die alten Dorfbewohner, die dem Dorf den Stil verleihen: Frauen, die Tag für Tag mit dem Gebetbuch zur Messe nachmittags zur Andacht gehen; ihre Kleidung, ihre Mienen, die alten Fachwerkhäuser, aus denen sie kommen; die Wäsche auf den Leinen - seit sechzig oder fast hundert Jahren unverändert. Manche sehen aus wie Leibl-Modelle. Das Dorf hat seine gewundenen Straßen, seinen Friedhof, seine eigene Pilgerwoche: die Wendelinuswoche, während derer noch kleine Pilgerprozessionen wallfahrend den kleinen Hügel heraufziehen." – (aus: Werke, Bd. 8, Essayistische Schriften und Reden, Köln 1978)

Ältere Menschen in Müngersdorf erinnern sich gut an Heinrich Böll: "Ich habe ihn oft in der Kirche gesehen; er grüßt immer, aber gesprochen habe ich nicht mit ihm." –  Ein Nachbar erinnert sich an Bölls Kinder, die vor dem elterlichen Hause an der Belvederestraße 35 spielen. Hier in Köln-Müngersdorf lebt der berühmte Schriftsteller von 1954 bis 1969 – eineinhalb Jahrzehnte also, so lange wie nirgendwo anders. Betrachtet man das schriftstellerische Werk und die Biographie, so wird klar, daß es sich um die wohl wichtigsten Schaffensjahre im Leben des Romanciers handelt. Während seiner Zeit in unserem Stadtteil legt Böll die Grundlagen für die Romane und Erzählungen, für die er 1972 den Nobelpreis für Literatur erhält.

Das Brot der frühen Jahre
Im Jahr 1951 wird die Fachwelt und die Öffentlichkeit zum erstenmal aufmerksam auf den jungen Autor, als dieser den Preis der Gruppe 47 erhält. Seinen künstlerischen Durchbruch erzielt Böll in den Jahren 1953 bis 1955 mit den viel gelesenen Romanen "Und sagte kein einziges Wort", "Haus ohne Hüter" und "Das Brot der frühen Jahre". Bis zu dieser Zeit geht es der Familie Böll schlecht. Besonders bedrückend für die 5-köpfige Familie Böll ist das Wohnraumproblem. Schließlich ist es der Familie aufgrund der Einnahmen aus den Buchveröffentlichungen möglich, im Jahre 1954 das Wohnhaus in der Belvederestraße 35 zu kaufen.

Bölls Biographin Gabriele Hoffmann beschreibt den Schriftsteller als äußerlich gelassenen, innerlich aber als unruhig: "Für seine regelmässige Arbeit am Schreibtisch versucht Heinrich Böll, Gleichmaß in seinen Alltag zu bekommen. Doch sobald ihm das gelingt, mißtraut er der Ruhe und zerstört sie. So hat er ein Bedürfnis nach ständigem Ortswechsel." Diese Eigenart kann er auch in Müngersdorf nicht ablegen. Heinrich Böll versucht sich in seinem neuen Heim einzurichten. Gegenüber früheren Wohnungen war nun reichlich Platz, doch ging es in dem Haus oft lebhaft zu.

"Laube" mit Bad
Die unruhigen Umstände veranlassen Böll im Jahre 1963, sich im Garten ein kleines Holzhaus, eine "Laube" mit Bad, bauen zu lassen. Dieses existiert immer noch. Hierhin zieht sich der Schriftsteller zurück, um ungestört zu sein. – Während Böll in der Belvederestraße wohnt, erscheinen von den wichtigsten Arbeiten 1955 zunächst "Das Brot der frühen Jahre". Es folgen zwei Jahre später ein "Irisches Tagebuch" und dann wieder ein Jahr später, 1958, "Dr. Murkes gesammeltes Schweigen". Im Jahr 1963 erscheint der Roman "Ansichten eines Clowns", in dem sich der negative Held mit Nachkriegsverhältnissen und Kirchenhierarchie auseinandersetzt.

Verschiedene Arbeitsdomizile
Früh zeigt sich der angegriffene Gesundheitszustand des Schriftstellers, der sich vielfältigen Belastungen aussetzt; 1968 erkrankt er schwer an Hepatitis und Diabetes. Es mutet eigentümlich an, daß er sich, während er sich in seinem Müngersdorfer Wohnhaus mit Gartenhaus gut einrichtet, trotz großer  Gesundheitsprobleme immer wieder andere Arbeitsplätze sucht. Bei deren Wahl ist er allerdings sehr bescheiden. Um arbeiten zu können, braucht er lediglich einen Tisch, eine Schreibmaschine und Ruhe, dazu noch Kaffee und Zigaretten. Zurück in die Müngersdorfer Zeit reichen auch die Anfänge von Heinrich Bölls öffentlichem Engagement, das sich 1968 zunächst gegen die Notstandsgesetze richtet. Es entspricht Bölls Grundauffassung sowie der damals starken politischen Strömung, daß er sich 1969 der sozialliberalen Koalition zuwendet. Er engagiert sich 1972 im Wahlkampf für die SPD und schließt sich der Friedensbewegung an.

Bölls Verhältnis zu Müngersdorf
Ein eigenes Kapitel verdient auch die Stellung Heinrich Bölls zu Müngersdorf und seinen Menschen. Auffallend ist das Bemühen, hier zur Ruhe zu kommen, die er dann aber doch so richtig nicht finden kann. Hat sein umtriebiger Geist ihm überhaupt je ein Verweilen erlaubt? In einem Rundfunkbeitrag äußert sich Böll 1964 recht ausführlich zu seiner "Örtlichkeit". Er beschreibt unseren Stadtteil anteilnehmend als "Dorf" ganz in der Nähe des Stadtzentrums, das sich seinen ländlichen Charakter weitgehend erhalten hat. Sinnierend hält der Autor "Ausschau" auf die Ebene in Richtung Bocklemünd, Widdersdorf, Lövenich. Es ist ein wenig eine eigene Standortbestimmung und die Frage nach der eigenen Identität. Dazu gehört auch die Beschreibung Müngersdorfer Menschen, die sich - so der Schriftsteller - während hundert Jahren weltliches Lebensgefühl und kirchliche Traditionen bewahrt haben. An gleicher Stelle polemisiert Böll ausgiebig über Großveranstaltungen im Stadion, über Verkehrsbehinderungen und Parkplatznot, über Probleme also, die wir Menschen von heute immer noch nur zu gut erleben.

Heinrich Böll, am 21. Dezember 1917 in Köln geboren, ist am 16. Juli 1985 in seinem Haus in Langenbroich im Alter von 67 Jahren gestorben.

 

> Böll in der Belvederestaße | BP 30

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