Künstler und grosse Namen in Müngersdorf
Heinrich Böll in der Belvederestraße
Eine Nachlese zum 100. Geburtstag des Nobelpreisträgers für Literatur
Text: Kurt Schlechtriemen
Fotos: Klaus Petersen | Ute Prang
Beitrag aus BlickPunkt 30
Wir in Müngersdorf haben ein besonderes Verhältnis zu dem 1985 verstorbenen Schriftsteller Heinrich Böll, hat er doch nahezu fünfzehn Jahre lang hier gewohnt. Sein 1954 von ihm gebautes Haus und die große Linde davor, von ihm selbst gepflanzt, atmen immer noch seinen Geist, und die heutigen Bewohner sind sich dieses Vermächtnisses bewusst. Mit Fug und Recht darf man sagen, dass Böll hier im wohnlichen Gartenhaus die Grundlagen für den Nobelpreis (1972) gelegt hat, hier hat er seine besten Werke verfasst. Beanstandete Martin Stankowski 1994 noch, „Von Böll ist nichts zu finden“, auch nicht in Müngersdorf, so hat sich das geändert. Der Bürgerverein hat nämlich vor zehn Jahren feierlich eine bronzene Erinnerungstafel an der Mauer vor seinem Haus angebracht. Sodann berichteten wir zweimal, 1997 und 2007, recht ausführlich über den Literaten und sein Leben hier; und so nehmen wir den runden Jahrestag zum Anlass zu ergänzenden persönlichen Anmerkungen.
Wer wie ich Ende der Fünfziger um die zwanzig Jahre alt war kam gar nicht umhin, ein begeisterter Verehrer zu sein: Bölls Name und seine Werke waren präsent, und wir lasen alle „Das Brot der frühen Jahre“, vertieften uns in sein „Irisches Tagebuch“ und lachten über Satiren wie „Nicht nur zur Weihnachtszeit“. Dass er in diesen Jahren irgendwo in Köln-Müngersdorf wohnte, war mir bekannt. Aber ich sollte ihm noch näher kommen, um Ende 1962. Als Studierender fuhr ich Taxi und nahm am Hauptbahnhof einen Mann auf, der zur Belvederestraße, zu Heinrich Böll wollte. Nun wusste ich sogar die Adresse, und seitdem ist unser Verhältnis immer enger geworden.
Annäherungen und Begegnungen
Zu der Zeit konnte ich noch nicht wissen, dass ich zwanzig Jahre später am Alten Militärring, also nur wenige hundert Meter entfernt, Oberstufenschüler mit den Romanen „Und sagte keine einziges Wort“
und den „Ansichten eines Clowns“ aufs Abitur vorbereiten würde; stolz habe ich ihnen Haus und Linde gezeigt. Genauso wenig ahnte ich, dass ich einen sehr guten Freund von Böll kennenlernen würde,
nämlich Erich Kock aus der Wendelinstraße, selbst Literat und Filmemacher. Beide kannten sich lange, und Kock rühmte die „unvergleichliche Prosa“
des großen Kollegen, aber auch dessen Herzlichkeit und Zugewandtheit, und es machte ihm Spaß zu erzählen, wie der (spätere) Nobelpreisträger ihm im Haus in Irland ein Bier ans Bett brachte. Es muss
ja einen tieferen Grund gehabt haben, wenn man sich beide nur mit Baskenmütze vorstellen kann.
Es dürfte Einigkeit bestehen, dass sowohl Bölls öffentliches Wirken wie auch sein Verhältnis zu anderen von Menschenfreundlichkeit geprägt waren. Darauf weist auch sein Neffe Klaus Imdahl hin. Er und
seine Frau Karin, denen jetzt das Haus gehört, lassen nichts auf den Onkel kommen. Sie sprechen mit Hochachtung von ihm und heben hervor, wie einfühlsam und freundlich er war; demnach war er auch ein
witziger Plauderer, ein aufmerksamer Zuhörer, sehr belesen und einer, der „alles wusste und über alles informiert war“, so der Verwandte. Heinrich Böll hat auch immer wieder eine menschliche und
großzügige Seite gezeigt. Und das nicht nur, wenn er sich nach dem Krieg wegen einer Stelle für den Schwager verwandte oder sein Heim 1956 während eines Irlandaufenthalts einer Familie mit zwei
Töchtern überließ. Das geschah
durchaus im Einvernehmen mit seiner Frau Annemarie. Überhaupt stand die Tür vielen offen. Irmgard Keun ist ein- und ausgegangen, und sogar die große Ingeborg Bachmann war zu Gast.
Wie im Roman
Über ein riskantes Unternehmen der Eheleute berichtet Dieter Kühn. Es ging um die Frau eines Geigers namens Herbert Thomas Mandl. Der Musiker ist im Krieg in Theresienstadt, Auschwitz und Dachau
gewesen. Er stand eines Tages vor der Tür in der Belve und erzählte von seiner Flucht aus der CSSR, seine Frau aber noch dort sei; er fragte einfach nach, ob man sie herausholen könne. Die Bölls
waren sich bald einig, dass sie selbst es machen müssten, und zwar mit dem großen grünen „Citroën“, den sich der Schriftsteller inzwischen leisten konnte.
An diese Stelle gehört eine Rahmenhandlung, die mir Jürgen Gabelt vom Lövenicher Weg schmunzelnd erzählt hat. Er war es nämlich, der dem Schriftsteller die französische Limousine, ausgestattet mit
Hydrodynamik und variabler Bodenfreiheit, verkauft hat, ein Gefährt also, das selbst dem Laien auf diesem Gebiet als die Kultkarosse in Erinnerung ist. Bei den diesbezüglichen Gesprächen ist es
freilich nicht geblieben, wenn der Mann am Schreibtisch auch viele Fragen gestellt hat. Die bezogen sich jedoch weniger auf den fahrbaren Untersatz als vielmehr das Leben eines Autoverkäufers im
Allgemeinen wie auch im Besonderen. Der Vielbeschäftigte hat sich dazu Zeit genommen, eine Stunde oder mehr, mit dem Ergebnis, dass ein Vertrag zustande kam, Gabelt in den Besitz eines Stapels
Böll´scher signierter Prosa gelangte und der Romancier wohl einen Schritt weiter hin zur höchsten literarischen Auszeichnung. Jürgen Gabelt ist immer noch zuver-
sichtlich, sich in einer der Romanfiguren seines prominenten Kunden wiederzuerkennen.
Das Fluchtfahrzeug gab es also, musste aber noch präpariert werden. Das erledigte ein einfühlsamer Bastler „in einem völlig menschenleeren Wald“, wahrscheinlich vorne im Äußeren Grüngürtel. So
berichtet es Mandl selbst. Und weil sich die Dissidentin in eine sehr unbequeme Lage würde begeben müssen, hat man sogar einen Zauberer und eine Ärztin zu Rate gezogen. Dann ging die Reise los. In
Prag wäre fast was schief gegangen, die Verabredung platzte. Aber dann fand sich Slávi Mandl doch am Treffpunkt ein, zwängte sich unter die Rücksitze, um von ihren mutigen Helfern über die Grenze
nach Müngersdorf chauffiert zu werden.
Mit den Augen der anderen
Hier gilt es noch nachzutragen, was nach oben gehört, dort aber meine Erzählstruktur gestört hätte. Beim Gespräch um den grünen Citroën nämlich meldete sich die Frau seines Verkäufers, Barbara
Freisleben, mit einer ganz eigenen Geschichte zu Wort. Zufälle gibt es! Sie war seinerzeit mit Claudia Keller, Tochter des Chefs der Uni-Buchhandlung, befreundet. Böll und sein Kollege Paul Schallück waren dort öfter zu Gast, und die damals Vierzehnjährige ist den dreien, denen es um die Germania Judaica ging, manchmal begegnet. Doch das
war es noch nicht: Einmal fehlte der Jugendlichen für eine wichtige Post die Briefmarke, eine Zwanziger musste es sein. Davon nahm auch Böll Notiz. Der zog die Brieftasche, fingerte kurz darin und
gab dem Mädchen das Postwertzeichen. – Übrigens handelt es sich bei der Familie, die einen Sommer lang in Bölls Haus wohnen durfte, um die des Buchhändlers Karl Keller. Geschrieben hat uns das
Crischa Siegel, so heißt sie heute, die jüngere Schwester von Claudia Keller, Freundin von Barbara Freisleben. Gar nicht so einfach.
Eine weitere Begebenheit, diesmal aus der Kriegszeit, fehlt in unseren früheren Aufzeichnungen. Man hatte den Gefreiten Böll von 1940 bis Juni 1941 nach einer Typhuserkrankung an die Heimatfront
beordert. Einquartiert in der Müngersdorfer Volksschule, musste er Wache schieben, unter anderem auch bei Kriegsgefangenen in Fort V. Hinter ihnen zu stehen „mit der Pistole in der Hand“, so heißt es
in einem Brief, löste größtes Unbehagen bei dem
jungen Soldaten aus. Überdies stelle man sich vor: Kurze Zeit, nachdem Menschenfreund Böll wieder an die richtige Front musste, wurden Juden in der preußischen Befestigung ghettoisiert. Wie wäre er
mit dieser Extremsituation fertig geworden?
Freilich waren nicht alle Müngersdorfer einverstanden mit ihrem prominenten Nachbarn, während der von 1954-1969 hier wohnte. Vielleicht fühlten manche sich zu wenig beachtet, wenn sie ihm begegneten.
Es war wohl wie mit dem zerstreuten Professor: Der ist umgekehrt ganz besonders konzentriert, wenn auch auf seine Wissenschaft. Und Böll war im Geiste immer am Schreibtisch. Manche haben auch Anstoß
genommen, wenn der Vater von drei Jungen sich an deren Erstkommuniontag im offenen Hemd und natürlich mit Baskenmütze sehen ließ. So auch der Bürgerverein, der eine Polemik über Rasenmäher und
Stadionverkehr in „1000 Jahre Müngersdorf“ nicht abgedruckt hat.
Zu guter Letzt wäre zu sagen, dass sich Alexander Keller, zu Lebzeiten Händler für Gartenbedarf, gut an den unkonventionell sich gebenden Schriftsteller erinnerte, wenn der des Morgens über den
Dorfplatz Richtung Straßenbahn eilte. An dieser Vorstellung können wir durchaus Gefallen finden, wenn wir vor dem Alten Pfarrhaus oder auf einer Bank vor der Kirche sitzen.
> Böll über Müngersdorf und die Müngersdorfer | BP 10
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