Menschen in Müngersdorf | Ingeborg Prior
Ingeborg Prior - Erinnerungen wach halten
Das Interview mit der Schriftstellerin
Ingeborg Prior führte Kurt Schlechtriemen
Foto: AUG-Köln
Volltext/PDF BlickPunkt 12
Ingeborg Prior lebt seit über 25 Jahren in Müngersdorf. Sie ist Buchautorin und Journalistin und hat ihr Buch „Ein Lied für meinen Vater“ im Aufbau Verlag Berlin veröffentlicht.
BlickPunkt: Frau Prior, Sie haben am 12. März 2008 in der Krypta der St.-Agnes-Kirche Ihr neues Buch vorgestellt. Worum geht es darin?
Prior: „Ein Lied für meinen Vater“ ist kein Roman, sondern die Familiengeschichte der israelischen Komponistin Ella Milch-Sheriff, die 1954 in Haifa als Tochter polnischer Holocaust-Überlebender zur
Welt kam und dort aufwuchs. Bereits im Alter von zehn Jahren spielte Ella perfekt Klavier und schrieb eigene kleine Kompositionen. Musik war für sie die einzige Welt, aus der sie sich nicht
vertreiben ließ, in die sie vor dem tyrannischen Vater floh, dessen Grausamkeit sie nicht verstand. „Glaube nicht, der Himmel ist leer“, erklärte der Vater einmal der entsetzten Tochter. Da wusste
sie noch nicht, dass er im Holocaust Frau, Sohn und alle Verwandten verloren und selbst große Schuld auf sich geladen hatte. Sein erschütterndes Tagebuch, das in den Jahren 1939 bis 1945 entstand,
tauchte erst nach seinem Tod in Polen wieder auf. Es wurde von Ellas Schwester veröffentlicht und von Ella vertont. Ihre Kantate „Ist der Himmel leer?“ wurde auch in Düsseldorf und Berlin aufgeführt.
Mit ihrer Musik gelang es Ella erst als erwachsener Frau, das Schicksal ihrer Familie zu verarbeiten und ihrem Vater zu verzeihen.
Ich verknüpfe in dem Buch Episoden aus Ellas Leben mit Passagen aus den väterlichen Tagebüchern. So spannt sich ein weiter Bogen zwischen der versunkenen Welt ihrer Familie und dem komplizierten
Alltag im Israel von heute.
BlickPunkt: Inwiefern ist das Thema „Kinder von Holocaust-Überlebenden“ in Israel und nicht nur dort ein wichtiges Thema?
Prior: Die Generation der Menschen, die den Holocaust überlebten und in Israel eine neue Heimat fanden, stirbt allmählich aus. So liegt es an den Söhnen und Töchtern, die häufig selbst traumatisiert
sind durch die Erlebnisse der Eltern, die Erinnerung an eine Vergangenheit wachzuhalten, die niemals vergessen werden darf, weder in Israel noch in Deutschland.
In zahlreichen Büchern, Filmen, Theater - und Tanzstücken, Kompositionen und bildender Kunst verarbeitet die „Zweite Generation“ so das Schicksal ihrer Eltern.
BlickPunkt: Wie reagieren Ihre Leser und Zuhörer, wenn sie von dem Schicksal der Betroffenen – Vater und Tochter – erfahren?
Prior: Bei den Lesungen, die Ella und ich im März gemeinsam gestalteten, machten wir eine Erfahrung, die auch uns sehr berührte. Am Ende herrschte minutenlange Stille, bevor der erste Applaus aufkam.
Und auch die üblichen Fragen nach einer Lesung kamen nur langsam und zögerlich. Eine Zuhörerin sagte: „Wie kann man nach so einem erschütternden Buch noch Fragen stellen? Das muss man erst einmal
verarbeiten…“
BlickPunkt: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, über und mit Ella Milch-Sheriff ein Buch zu schreiben?
Prior: Um eine lange Geschichte kurz zu machen: Ella und ich lernten uns vor einigen Jahren in Düsseldorf kennen, als sie im Robert-Schumann-Saal als Mezzosopranistin – ihre erste Profession – mit
Liedern jüdischer Komponisten auftrat und ich sie für ein Magazin interviewte. Wir kamen uns schnell näher, und Ella erzählte mir sehr viel mehr aus ihrem Leben, als ich für meinen Bericht benötigte.
Da ich zuvor schon zwei Bücher mit jüdischer Thematik geschrieben hatte, schien es mir nur logisch, auch das dritte diesem Thema zu widmen. Aus dieser ersten Begegnung wurde eine sehr intensive
Zusammenarbeit, die stets von gegenseitiger Achtung und Toleranz geprägt war. Über alle Gegensätze hinweg wurden wir Freundinnen. Durch Ella lernte ich, mir ein eigenes Urteil über Israel zu bilden
und ihre Heimat zu lieben. Ich verstand, dass nicht nur Ellas Leben, sondern auch ihr musikalisches Werk nie frei sein würde von der Vergangenheit.
BlickPunkt: Frau Prior, erzählen Sie ein wenig über sich. Wo haben Sie gearbeitet, welche Bücher haben Sie schon veröffentlicht?
Prior: In meinen jüngeren Jahren habe ich als Redakteurin in Baden-Württemberg, wo ich geboren und aufgewachsen bin, und später in Köln gearbeitet. Unter anderem habe ich einige Jahre das Ressort
Fernsehen – als Fernsehen noch ein Ereignis war – für den Kölner „Express“ betreut. Später, als meine Tochter flügge war, machte ich mich selbstständig. Im Team mit einer Fotografin reiste ich
um die Welt. Ich erinnere mich gern an die vielen Begegnungen mit interessanten Menschen und an besondere Schauplätze. Da fällt mir ein, dass ich in den 1980er Jahren auch mehrmals Israel besuchte,
um beispielsweise Ephraim Kishon zu interviewen, mit Daliah Lavi den Kibbuz zu besuchen, in dem sie aufgewachsen war, oder mit Teddy Kollek durch Jerusalem zu spazieren.
1997 lernte ich für eine Zeitschriften-Serie über Artisten im Zirkus den belgischen Clown Peter Bento kennen, dessen Leben und das seiner jüdischen Frau mir faszinierenden Stoff für mein erstes Buch
bot. „Der Clown und die Zirkusreiterin“ ist die Geschichte der jungen Artistin, die im Zirkus von Adolf Althoff Zuflucht sucht und findet, weil sie Jüdin ist.
2002 erschien dann mein zweites Buch „Die geraubten Bilder“, inzwischen auch als Taschenbuch mit dem Titel „Sophies Vermächtnis“ veröffentlicht. In diesem Buch schildere ich das tragische
Schicksal einer Deutschen in sibirischer Verbannung und die Suche nach ihren von den Nazis geraubten Kunstschätzen.
BlickPunkt: Haben Sie schon ein neues Thema für ein weiteres Buch?
Prior: Ja, und das neue Buch ist schon fast fertig und hat bereits einen Titel: Es heißt „Auf der Kippe“ und schildert das schwierige Leben eines Borderliners. Also endlich mal ein ganz anderes
Thema. Seine Veröffentlichung ist für August im Heyne Verlag München geplant.
BlickPunkt: Woher nehmen Sie die Energie, die für eine Tätigkeit wie Ihre erforderlich ist? Wie halten Sie sich fit?
Prior: Schreiben macht mir einfach Freude. Und Freude verleiht Kräfte. Außerdem wohne ich sehr nahe an unserem schönen Stadtwald, durch den ich regelmäßig laufe. Im ASV-Sportclub bin ich seit langem
Mitglied. Und, nicht zu vergessen unser Müngersdorfer Freibad, wo ich während der Freiluft-Saison morgens gern meine Runden drehe.
BlickPunkt: Frau Prior, ich bedanke mich sehr herzlich für dieses Gespräch.
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