Künstler und grosse Namen in Müngersdorf
Paul Schallück
Paul Schallück - Schriftstellerfreund und Nachbar von Heinrich Böll
"Der Platz, an dem ich schreibe"
Text: Kurt Schlechtriemen
Foto: Aisthesis Verlag, Bielefeld
Der Schriftsteller und Rundfunkpublizist Paul Schallück, der wie andere Künstler Müngersdorf zu seiner Heimat erkoren hatte, ist vielen heute nicht mehr in Erinnerung. Er verdient es aber, dass man sich seiner Leistungen besinnt, sah es in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts doch so aus, als hätten wir hier neben Heinrich Böll – in dessen Nachbarschaft sogar – einen zweiten großen Erzähler von hohem Rang. Immerhin hat er ein ansehnliches Prosawerk hinterlassen, darunter vier Romane und eine unübersehbare Anzahl von Arbeiten der unterschiedlichsten Gattungen. Seine Spuren im kulturellen Leben Kölns sind bis heute erkennbar.
Paul Schallück hat fast drei Jahrzehnte, ab 1947, in Köln gelebt, zunächst in der Herrigergasse 7, danach im Stadtteil Sülz und dann seit 1963 wieder in Müngersdorf in der Belvederestraße 89 und 91; das ist mehr als die Hälfte seines Lebens. Dabei ist Köln ihm zur Heimat geworden, zu der er eine enge Beziehung hatte und mit der er sich schreibend und politisch handelnd auseinandersetzte. Die Verdienste des Freundes für Köln würdigt Heinrich Böll in einem Nachruf: „In seinem Werk enthalten ist eine große Zuneigung zu Köln.“
Neue Heimat Köln
Als Paul Schallück 1947 zum Studium nach Köln kam, blickte er mit seinen 25 Jahren bereits auf ein ereignisreiches Leben zurück. Er ist am 17. Juni 1922 in Warendorf als Sohn eines Buchbinders und seiner aus Irkutsk in Sibirien stammenden Mutter geboren und war, wie es heißt, wegen deren Herkunft sozialen Vorurteilen ausgesetzt. Ab dreizehn verbringt der Junge fünf Jahre in verschiedenen Klosterschulen, um Missionar zu werden. Mit achtzehn dann muss er allerdings Soldat werden, wird am Fuß schwer verwundet und im Dezember 1945 aus französischer Gefangenschaft entlassen, um sich zwei Wochen später bereits an der Universität Münster für die Fächer Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft einzuschreiben; von dort erfolgte 1947 mit den gleichen Studienfächern der Wechsel nach Köln. Schon in diesen Jahren schrieb der Student Gedichte, Erzählungen und Essays.
In Köln hat Paul Schallück schnell Fuß gefasst. Nach wenigen Studienjahren war er zunächst Theater- und Kunstkritiker, veröffentlichte ab 1952 in internationalen Zeitschriften eigene Texte, um, wie sich die Nachbarn erinnern, im gleichen Jahr „ein Müngersdorfer Mädchen aus der Herrigergasse“, die Buchhändlerin Ilse Nelsen, zu heiraten.
Elite deutscher Autoren
Überhaupt ist diese Zeit sehr ereignisreich. 1950 schon hatte Schallück den Schriftstellerkollegen Heinrich Böll kennengelernt, der schon bald sein Haus an der Belvederestraße bezog, sodass beide etliche Jahre in Müngersdorf fast Tür an Tür wohnten. So wie man von Böll sagte, „ja, der kam jeden Tag hier vorbei“, so heißt es auch von Schallück, der oft in einem Atemzug mit dem Nobelpreisträger genannt wird. Und so wundert es nicht, dass Schallück, der als seinen Hauptberuf das Schreiben sah, regelmäßig, erstmals 1952, an den Treffen der „Gruppe 47“ teilnahm, die jährlich stattfanden und wo die Elite der jungen deutschen Autoren aus ihren Werken las. Schallücks Prominenz zu dieser Zeit wird auch deutlich, wenn man sich nur einige Namen der Teilnehmer vergegenwärtigt: Heinrich Böll, Günter Grass, Paul Celan, Ingeborg Bachmann, Hans-Magnus Enzensberger, Siegfried Lenz.
Einmischung in die Politik
Sowohl Böll als auch Schallück verstanden sich als Literaten, als Romanciers; es ging ihnen um die ästhetische Form, vielleicht mehr noch aber um den moralisch-didaktischen Gehalt ihrer Werke. Sie wollten die Leser ansprechen, aufrütteln und zum Nachdenken über Schrecken und Gräuel des Krieges anregen.
1958 begann für Schallück eine Phase intensiver gesellschaftspolitischer Betätigung. Zunächst gründete er mit Böll und anderen prominenten Kölnern die „Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“, und ein Jahr später gehörte er zu jenen, die die „Germania Judaica“ ins Leben riefen, eine Bibliothek, deren Anliegen die Geschichte des deutschen Judentums ist. In beiden Vereinigungen betätigt er sich intensiv in den Vorständen. Darüber hinaus streitet der Schriftsteller an der Seite von Günter Grass im Wahlkampf für Willy Brandt – auch dies bezeichnend für seinen geistigen Standort.
In diesem Geist geschrieben, erschien 1959 Schallücks wohl bekanntester und lesenswerter Roman „Engelbert Reinecke“. Mit einem anderen Roman, „Don Quichotte in Köln“ von 1967, welcher eine Hommage des Westfalen an seine rheinische Wahlheimat ist, wandte er sich, anders als Böll, neuen Inhalten und Erzähltechniken zu. Er bedient sich der Übertreibung, der Wiederholung und Assoziation und erinnert damit an die Techniken des Films, so zum Beispiel an Rückblende und raschen Perspektivwechsel.
Diese Darlegungen wären nicht vollständig, wenn nicht noch auf zwei „nonfiktionale“ Texte verwiesen würde, in denen sich Schallück ausdrücklich mit Köln beschäftigt. Zunächst ein Blick auf ein nachdenkliches Porträt der Stadt: „Der Platz, an dem ich schreibe/Der Platz liegt in Köln am Rhein. Köln dringt zu mir herein mit Glockengeläut und Motorengebrumm, Hubertushörnern und Rasenmähern, Straßenbahngeknirsch, Hundegebell und Massengebrüll, wenn im nahen Stadion der Ball in den Kasten gepfeffert wurde.“
Kritiker der Zeitläufte
Seine zunächst auf unseren Stadtteil gerichtete Perspektive weitet sich im Folgenden aus auf unser Land, auf Europa, von der Gegenwart hin zu anderen Zeiten. Es sind besinnliche Gedanken zur Frage „Wer bin ich?“ – Auch hier hat es übrigens den Anschein, als hätten Schallück und Böll einander schon mal über die Schulter geschaut: Von diesem gibt es ebenfalls eine Standortbestimmung mit Müngersdorf im Focus.
Paul Schallück war sich meist treu als Kritiker der Zeitläufte. 1965 setzte er sich in einem Rundfunkbeitrag mit dem „Exodus aus Köln“, der Judenvertreibung, auseinander. Er zeigt nachdrücklich und ausführlich auf, dass Kölner genauso an begangenen Unmenschlichkeiten beteiligt waren wie Menschen anderswo: „Auch hier am 9. November und später: kein Aufbegehren, kein Protest, kein Streik, keine Revolte.“ Den Kirchen hält er vor, sich regimefreundlich verhalten und keine deutlichen Worte gesprochen zu haben. Schallück sagt, was längst hätte gesagt werden müssen. Der Text verliert seine Gültigkeit nie.
Früher Tod
Schwerkrank verstarb der Schriftsteller erst 54-jährig am 29. Februar 1976. Sein Grab liegt auf der linken Seite des Hauptweges unter einer Birke auf dem Müngersdorfer Friedhof neben seiner Frau, die ihm nur zwei Jahre später nachgefolgt ist. Die Pflege des Grabes, die man sich besser vorstellen kann, liegt bei der Stadt Köln. Den Anstoß dazu, die Grabstätte zu erhalten, gab die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.
Paul Schallück wäre am 17. Juni 2012 neunzig Jahre alt geworden. Sein Nachlass ist mit dem seines Freundes Heinrich Böll mit dem Kölner Stadtarchiv verschüttet worden.
Quellen:
• Wolfgang Delseit:
Eine Stadt mit tausend Gesichtern, in: www.literatur-archiv-nrw.de
•Rainer Hartmann:
Neues Leben gesucht, in: KStA
vom 6. Juni 1997
Foto: Aus dem Nachlass von Paul Schallück mit freundlicher Erlaubnis des Aisthesis Verlags, Bielefeld
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