Gedenken an Paul und Ilse Schallück
Im Rahmen einer feierlichen Einweihung wurde die neue Gedenktafel an Paul und Ilse Schallück auf dem Friedhof Müngersdorf am 24. November enthüllt. Paul Schallück war ein bedeutender Schriftsteller der Nachkriegsjahrzehnte, seine Frau Ilse eine engagierte Förderin der Literatur. Die beiden hatten in Müngerdorf gelebt und sind auf dem Friedhof Müngersdorf beerdigt.
Die Initiative für die neue Gedenktafel auf dem Müngersdorfer Friedhof ist eine Kooperation des Bürgerverein Köln-Müngersdorf e.V. gemeinsam mit Germania Judaica - Kölner Bibliothek zur Geschichte des Deutschen Judentums e.V. und der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. mit Unterstützung der Kreissparkasse Köln.
Paul Schallück (1922 - 1976) war ein bedeutender Schriftsteller der Nachkriegsjahrzehnte sowie Mitbegründer der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und der Bibliothek Germania Judaica. Er lebte mit seiner Frau Ilse (1926 - 1978) in Köln-Müngersdorf. Obwohl die Schallücks in Müngersdorf ein Ehrengrab hatten, hat die Stadtverwaltung dieses vor einiger Zeit abgeräumt.
Die Initiatoren der neuen Gedenktafel wollen gerade auch mit Blick auf die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen die Erinnerung an Personen wie Paul Schallück und Ilse Schallück wach halten. Paul Schallück hatte sich für die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, den Kampf gegen den Antisemitismus, die Aufklärung der jungen Generation und den christlich-jüdischen Dialog eingesetzt. Der neue Gedenkstein steht an der Stelle der originalen Grabstätte.
Anläßlich der Einweihung hielten folgende Mitbürger Reden:
Anton Bausinger, Bürgerverein Köln-Müngersdorf e.V.
Bürgermeister Andreas Wolter, Köln
Jens Freiwald, Köln. Gesellsch. f. christlich-jüdische Zusammenarbeit e.V.
Volker Hein, Schauspieler, liest Texte von Paul Schallück
Dr. Ursula Reuter, Kölner Bibliothek zur Geschichte d. Dt. Judentums e.V.
Die Redemanuskripte wurden dem BVM zur Veröffentlichung auf dieser Internetseite von den Rednern nach der Einweihungsfeier zur Verfügung gestellt. Für die Reden einfach weiter nach unten blättern. In ihnen ist viel Hintergrund über Paul und Ilse Schallück enthalten.
Die Verwendung der Redemanuskripte durch Dritte, auch auszugsweise, ist nicht erlaubt. Es gilt das gesprochene Wort.
Text- bzw. Informationsquelle: Einladung zur Einweihung. Stand Nov. 2024, hf
Fotos: Harald Schaefer
Zum Vergrößern der Bilder einfach draufklicken.
Begrüßung durch Anton Bausinger, stellv. Vorsitzender des Bürgervereins Köln-Müngersdorf e.V.
Liebe Müngersdorferinnen und Müngersdorfer,
sehr geehrte Damen und Herren aus Köln,
im Namen des Bürgerverein Köln-Müngersdorf begrüße ich Sie alle sehr herzlich. Aber ich darf Sie auch im Namen der Germania Judaica, der Kölner Bibliothek zur Geschichte des deutschen Judentums, wie auch der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit begrüßen.
Weiterhin freue ich mich, hier auch unseren Pfarrer Dr. Wolfang Fey, der in Begleitung von Pater Bonifatius gekommen ist, herzlich zu begrüßen.
Inhaltliche Angaben über Paul Schallück erfolgen mit den weiteren Wortbeiträgen, weshalb ich hier kurz die Hintergründe zu der heutigen Veranstaltung aufzeigen möchte.
Als der Bürgerverein Köln-Müngersdorf (Kurt Schlechtriemen) vor einiger Zeit festgestellt hat, dass das Ehrengrab des Müngersdorfer Bürgers Paul Schallück auf unserem kleinen Friedhof komplett abgeräumt wurde, haben wir die Initiative ergriffen und die Idee zu dieser Gedenktafel entwickelt.
Zwei Dinge waren uns dabei wichtig:
Einmal, dass sich der Gedenkstein genau an der originalen Grabstätte befindet. Die Birke im Hintergrund, die auch die Einladungskarte ziert,
ist Beweis für den richtigen Standort. Wir haben ein altes Foto gesehen nach der Beerdigung, wo sie noch ein ganz kleiner Baum war. Der Friedhofsverwaltung, die ihren Irrtum bedauert, sei heute
gedankt, dass sie hier insgesamt vier Grabstellen für immer für diesen Zweck freihält. Einen schriftlichen Vertrag hierüber muss mit der Friedhofsverwaltung noch geschlossen werden.
Dann haben wir uns zweitens auf die Suche nach Unterstützern gemacht und mit der Germania Judaica und der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit schnell gefunden. Einige kurze Anmerkungen zu beiden Gesellschaften:
Die Germania Judaica wurde 1959 unter anderem von Paul Schallück, aber auch von Heinrich Böll und weiteren Personen gegründet. Man war der Überzeugung, dass die Öffentlichkeit nur sehr unzureichend über die Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums informiert sei und dass Unkenntnis Vorurteile begünstige. Die Bibliothek sollte als Instrument gegen den damals immer noch herrschenden Antisemitismus in Deutschland dienen.
Und diese Aufgabe besteht leider auch heute immer noch.
Die Kölner Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wurde bereits ein Jahr früher, also im Jahr 1958, unter anderem ebenfalls von Paul Schallück gegründet. Sie soll inhaltlich den christlich-jüdischen Dialog suchen und fördern.
Wir sind froh und dankbar, dass beide Institutionen unser Anliegen inhaltlich und auch finanziell unterstützt haben. Außerdem möchten wir uns bei der Kreissparkasse Köln bedanken, die unser Vorhaben finanziell unterstützt hat.
Kurz vor dem Ende der Begrüßung, möchte ich ganz besonders Herrn Marco Kaiser begrüßen. Herr Kaiser hat nicht nur diesen Stein überarbeitet, sondern vor allen Dingen nach Gut-Väter-Steinmetzsitte die Buchstaben eingehauen und nicht mit irgendwelchen Buchstaben aufgeklebt. Schauen Sie sich gleich diese wunderbare Arbeit einmal genauer an.
Last but not least, möchte ich den in Köln lebenden Schauspieler Volker Hein herzlich begrüßen und ihm für seinen kostenfreien Beitrag danken. Er wird uns zwei Texte von Paul Schallück vortragen.
Herr Bürgermeister Andreas Wolter, zunächst haben Sie nun das Wort.
Rede von Bürgermeister Andreas Wolter
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich begrüße Sie ganz herzlich und überbringe Ihnen die besten Grüße des Rates der Stadt Köln und unserer Oberbürgermeisterin Henriette Reker.
Es ist mir eine große Ehre, heute vor Ihnen zu stehen, um an einen herausragenden Kölner Schriftsteller und Publizisten zu erinnern: Paul Schallück. Hier in Müngersdorf, seiner Wahlheimat, würdigen wir heute sein Leben, sein Werk und sein Engagement. Mit der Einweihung des Gedenksteins wird nicht nur seiner Person gedacht. Die Einweihung soll auch ein Appell sein, das kulturelle Erbe Kölns lebendig zu halten.
Paul Schallück war vieles: Schriftsteller, Kritiker, Nachbar, ein nachdenklicher Beobachter seiner Zeit und ein entschlossener Mahner für Menschlichkeit. Er lebte über fast drei Jahrzehnte in unserer Stadt, ab 1963 in Müngersdorf, wo er in der Belvederestraße eine Heimat fand – ganz in der Nähe von Heinrich Böll, mit dem er nicht nur die Nachbarschaft, sondern auch eine literarische Vision teilte.
Seine Werke – darunter Romane wie Engelbert Reinecke und Don Quichotte in Köln – sind eindrucksvolle Zeugnisse seines Schaffens. Sie verbinden poetische Schönheit mit tiefgreifender Gesellschaftskritik. Köln war für Schallück mehr als Kulisse; es war eine Quelle der Inspiration, wie in seinem Portrait der Stadt, das vom Klang der Kirchenglocken bis zum Stadionjubel ein lebendiges Bild unseres Alltags zeichnet. Mit seinen Worten ließ er Köln nicht nur lebendig werden – er machte es zum Spiegel unserer Gesellschaft.
Doch Schallück war nicht nur Literat, er war auch ein Mann der Tat. Gemeinsam mit Heinrich Böll und anderen bedeutenden Persönlichkeiten gründete er die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die Germania Judaica. In einer Zeit, in der die Wunden des Zweiten Weltkriegs noch tief waren, zeigte er Mut und Weitsicht. Er setzte sich für den Dialog ein, für das Erinnern und Verstehen. Dies war für ihn kein politisches Lippenbekenntnis, sondern ein moralischer Auftrag.
Besonders eindrucksvoll bleibt sein Beitrag zum Gedenken an die Judenvertreibung und die Gräueltaten der NS-Zeit. Mit scharfer Feder und klarem Blick schrieb er gegen das Vergessen an. Sein Rundfunkbeitrag über den "Exodus aus Köln" rüttelt uns bis heute auf. Es waren Texte wie diese, die Schallück als Stimme der Erinnerung und Mahnung unvergessen machen. Seine Kritik an den damaligen Versäumnissen – sei es von Kirche, Gesellschaft oder Politik – war unbequem, aber notwendig.
Liebe Anwesende, Schallücks Engagement und literarische Größe verdienen es, nicht in Vergessenheit zu geraten. Der heutige Gedenkstein ist nicht nur eine Würdigung seines Lebenswerks, sondern auch ein Zeichen dafür, dass wir in Köln seine Werte weitertragen. Es ist eine Erinnerung daran, dass Literatur nicht nur Geschichten erzählt, sondern uns auch Verantwortung aufzeigt.
Ich danke dem Bürgerverein Köln-Müngersdorf, der Germania Judaica und der Historischen Gesellschaft für ihren Einsatz, diesen besonderen Moment möglich zu machen. Paul Schallück wäre am 17. Juni 2022 hundert Jahre alt geworden. Seine Worte und sein Wirken sind uns Vermächtnis und Verpflichtung zugleich.
Mögen wir seinen Geist in unserer Stadt lebendig halten. Köln ist durch Menschen wie Paul Schallück reicher geworden. Lassen Sie uns dieses Erbe pflegen und seiner immer würdig bleiben.
Vielen Dank
Einführende Worte von Jens Freiwald, Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit e.V.
Sehr geehrten Damen und Herren,
wenn wir uns heute hier einfinden und die Gedenkstehle für Ilse und Paul Schallück einweihen, so tun wir dies nicht nur, um an zwei Menschen zu ehren und gedenken, die wichtige Persönlichkeiten für den Jüdisch-Christlichen Dialog in Köln darstellten, sondern hiermit verbinden wir auch das Thema Erinnerungskultur – also eines zentralen Bestandteils der Aufarbeitung der Shoa. Das Selbstverständnis der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ist es seit jeher, die Erinnerung an den Nationalsozialismus in den unterschiedlichsten Formaten einem breiten Publikum anzubieten. Dies geschieht in Form von Theateraufführungen, durch die Einmischung in gesellschaftspolitisch relevante Debatten, bei theologischen Studientagungen, aber vor allem in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit.
So haben wir es uns schon vor einigen Jahrzehnten unter dem Leitwort „Schreiben gegen das Vergessen“ zur Aufgabe gemacht, an einen „Sohn der
Stadt“ Köln zu erinnern, an einen Autor, der sich mit seinen Romanen, Essays, Arbeiten für Rundfunk und Zeitschriften um eine Neuorientierung der deutschen Literatur nach der Katastrophe des
Nazi-Terrors und des Zweiten Weltkriegs — zusammen mit Gleichgesinnten, vor allem der Gruppe 47 — verdient gemacht hat. Ich spreche hier natürlich von Paul Schallück, dessen umfangreiche Liste von
Veröffentlichungen zum christlich-jüdischen Dialog auch heute noch gewinnbringend nachgelesen werden kann. Seine Publikationen beeindrucken noch immer in Bezug auf seine Weitsicht und seinem
solidarischen Impetus. Mit Paul Schallück begegnet uns eine Persönlichkeit, die ergriffen ist von dem Entsetzen über die Katastrophe des nationalsozialistischen Terrorregimes, die in der Shoa
gipfelte. In seinem Roman ,,Wenn man aufhören könnte zu lügen“ ist er von der Leidenschaft getrieben, Aufklärung zu betreiben und die Erfahrungen der Vergangenheit für die Gestaltung einer humanen
Zukunft zu nutzen.
In zahlreichen Beiträgen behandelt Paul Schallück den Beitrag der Juden und Jüdinnen zum deutschen Geistesleben. Durch die Vermittlung von Wissen sollten Vorurteile abgebaut und die Menschen gegen mögliche neue Vorurteile immunisiert werden, damit ein zukünftiges Zusammenleben zwischen Christen und Juden in gegenseitiger Achtung ermöglicht wird. Heben wir aus der umfangreichen Liste seiner Beiträge zum christlich-jüdischen Dialog nur einige Beispiele heraus.
Der Beitrag Paul Schallücks über Moses Mendelssohn (1961) bringt die Hoffnung zum Ausdruck, dass Christen und Juden im Dialog wieder
voneinander lernen können, wie Moses Mendelssohn und Lessing es beschieden war: in einem beglückenden, leider viel zu kurzen historischen Augenblick sind sie in ein Gespräch über die Bedeutung der
Aufklärung eingetreten.
Aus dem Geist Martin Bubers und in seiner Anwesenheit wurde 1959 die Germania Judaica gegründet, dessen erster Vorsitzender Paul Schallück
war. Bis 1974 arbeitete Paul Schallück im Vorstand unserer Gesellschaft mit.
Paul Schallücks Wirken müssen wir durchaus im historischen Kontext einordnen, um sein Engagement angemessen würdigen zu können. Denn die 1950er Jahren waren politisch eine durchaus bedrückende Zeit.
Viele Nazis saßen wieder in Amt und Würden und ein großer Teil der Gesellschaft waren antidemokratische und antisemitisch gesinnt. Der Antisemitismus war nach 1945 weiterhin in hohem Ausmaß in
Deutschland verbreitet und mit einer unterdrückten Wut auf Juden und Jüdinnen verbunden. Bei einer Umfrage von 1946 waren 85 Prozent der Befragten gegen eine Rückkehr von überlebenden Jüdinnen und
Juden nach Deutschland. Ein Jahr später ermittelte der Antisemitismusreport der US-Militärregierung in einer Studie, dass 18 Prozent der deutschen Bevölkerung als radikale Antisemit:innen, ein weiter
großer Anteil massive Ressentiments gegen Jüdinnen, Juden äußerten und zugleich rassistisch argumentierten. Lediglich 20 Prozent konnten als demokratisch Gesinnte und mit relativ wenig Ressentiments
ermittelt werden. Im Laufe der 1950er Jahr nahm der Antisemitismus langsam ab, aber auch noch 1958 gaben noch 22 Prozent der Bundesbürger:innen an, es sei besser, wenn keine Juden und Jüdinnen in
Deutschland lebten.
Trotz dieser bedrückenden Situation war Paul-Schallück der Überzeugung, man müsse den Juden und Jüdinnen Mut machen, in Deutschland zu bleiben. Als Voraussetzung nannte er Zivilcourage in der Mehrheitsgesellschaft, die Bereitschaft zur Erinnerung an das Verbrechen an den Juden und die daraus-sich entwickelnde demokratische Gestaltung der Zukunft.
An der Gestaltung der Zukunft wollte Paul Schallück mit den Mitteln der Aufklärung und Erziehung energisch mitwirken. Als er glaubte, die
Germania Judaica, beschränke sich zu sehr am „Aufbau ihrer Bücherbestände“ und gehe nicht mit der nötigen Entschiedenheit mit Veranstaltungen in die Öffentlichkeit, trat er unter Protest 1962 vom
Vorsitz zurück— auch-dies ein Zeichen seines unversöhnlichen Ernstes bei der Aufarbeitung der vergangenen Schuld. Wie wir aus den Studentenprotesten gegen Ende dieses Jahrzehntes wissen, wären viele
solcher Stimmen nötig gewesen, um die Erstarrung der Gesellschaft in Selbstzufriedenheit und Wohlstandsdenken aufzubrechen, um zu verhindern, dass die Deutschen eine „zweite Schuld“ auf sich laden,
die der Verdrängung, die Ralph Giordano zu Recht oft beklagt hat. Es ist der von konservativer Seite heute gerne gescholtenen 68er-Generation zu verdanken, dass rückwärtsgewandtes, gar reaktionäres
Gedankengut in den Köpfen und unter den Talaren kritisch hinterfragt wurden. Daran, dass dies auch nachhaltig wirkt, arbeiten wir mit Energie und Konstanz seit mehr als sechs
Jahrzehnten.
Die tragische Ironie, die jedoch darin besteht, dass ein Dichter, der so entschieden gegen das Vergessen schrieb, schon wenige Jahre nach seinem Tod seinerseits fast vergessen ist. Dies ist nicht hinnehmbar, insbesondere, da wir in der Gegenwart einen erstarkenden Rechtsextremismus und Antisemitismus wieder vorfinden. Daher muss Paul Schallücks entschiedenes Eintreten für das, was auch uns wichtig ist, unvergessen bleiben. Es ist daher dringend geboten, diesen wunderbaren Schriftsteller auch für die junge Generation neu zu entdecken. Wenn uns dies gelingt, wäre ein wichtiges Element der Erinnerungskultur in Köln wiederhergestellt.
Schlußwort von Dr. Ursula Reuter, Kölner Bibliothek zur Geschichte des Deutschen Judentums e.V.
Sehr geehrte Damen und Herren, werte Vorredner,
auch ich freue mich, dass Sie heute gekommen sind, um Paul und Ilse Schallück zu gedenken.
Ich möchte mich zunächst sehr herzlich bei dem Bürgerverein Köln-Müngersdorf – und insbesondere bei Herrn Bausinger – für die Initiative
bedanken, die uns hier zusammengeführt hat. Als Geschäftsführerin der Bibliothek Germania Judaica, deren Mitgründer Paul Schallück war, ist es mir eine Freude, dass es hier in Müngersdorf nun –
wieder – einen Ort gibt, der an Paul und Ilse Schallück erinnert. Eine Initiative, die der Vorstand der Germania Judaica sehr gerne unterstützt.
Sie haben schon einiges über und von Paul Schallück (1922-1976), sein literarisches und gesellschaftliches Engagement und seinen Aktivismus
gegen die „Vergesslichkeit“ gehört, ich möchte nur kurz ein paar Details über seine Bedeutung –und die seiner Frau – für die Gründung und Entwicklung der Germania Judaica in den Jahren 1958 bis 1962
hinzufügen.
Von der Idee, eine Bibliothek – ich zitiere – „zur Erforschung der deutsch-jüdischen Verhältnisse“ aufzubauen, hörte die Öffentlichkeit erstmals aus dem Mund von Paul Schallück, und zwar im Juni 1958
bei dem Empfang der Stadt Köln für den Religionsphilosophen Martin Buber. Neben ihm wurden schon damals in der Presse sein Schriftsteller-Kollege und Nachbar Heinrich Böll (1917-1985), der
Buchhändler Karl Keller und der Publizist Wilhelm Unger (1904-1985) als Initiatoren genannt.
Diese vier gehörten auch zu den Unterzeichnern des Protokolls der Gründerversammlung am 2. Januar 1959, bei der der „Verein für die Gründung, Förderung und Unterhaltung der Martin-Buber-Bibliothek für die Geschichte des Judentums in Deutschland“ ins Leben gerufen wurde. Daneben finden wir aber auch die Unterschriften von zwei Persönlichkeiten, über deren Rolle im Gründungsprozess die Quellen keine weitere Auskunft geben: Ilse Schallück und Annemarie Böll.
Wir wissen leider bislang nicht, was Annemarie Böll und Ilse Schallück mit der Bibliotheksidee verband und ob und welche Ambitionen sie
hatten, sich dort einzubringen. Auf jeden Fall scheint die weitere Entwicklung zunächst wieder reine Männersache gewesen zu sein. Mitte Februar 1959 wurde als Name der neuen Institution „Germania
Judaica. Kölner Bibliothek zur Geschichte des Deutschen Judentum“ festgelegt – auf Vorschlag von Alfred Wiener, dem Gründer und Direktor der berühmten Wiener Library in London, der die Etablierung
der Kölner Bibliothek mit Rat und Tat und nicht zuletzt einer großen Zahl von Dubletten unterstützte.
Am 28. Februar 1959 kam es zu einer zweiten und definitiven Gründungsversammlung – nun allerdings ganz ohne Frauen.
Mit Heinrich Böll als erstem und Paul Schallück als zweitem Vorsitzenden – sowie mit Dr. Jutta Bohnke-Kollwitz, die seit Februar 1960 als Geschäftsführerin wirkte – entfaltete die Bibliothek in den
nächsten Jahren eine Vielzahl von Aktivitäten.
Erwähnt sei nur die Veranstaltung „Heimweh nach der deutschen Sprache“ am 5. November 1959 vor etwa 700 Zuhören und Zuhörerinnen im Gemeindesaal der gerade wieder eröffneten (und kurze Zeit später
geschändeten) Synagoge Roonstraße. Neben dem aus dem Exil in England nach Deutschland zurückgekehrten Wilhelm Unger, der zum Thema Emigration und Heimat sprach, stellten Heinrich Böll die ihm
gleichaltrige Schriftstellerin Jenny Aloni (1917-1993) und Paul Schallück die Lyrikerin und Nobelpreis-Trägerin von 1966 Nelly Sachs (1891-1970) vor. Karl Keller sprach über Martin Gumpert
(1987-1955) und Gert H. Theunissen über Karl Wolfskehl (1869-1948).
Paul Schallück verband große Hoffnungen und Erwartungen mit der Gründung, die er in einem Brief an Paul Celan am 9. Mai 1959
formulierte:
„Unsere Bibliothek hat keinen institutionellen, keinen musealen, keinen wissenschaftlichen Charakter. Ihre Idee wurde geboren aus der Sorge, aus der Furcht vor einem neuen und vor dem alten
Antisemitismus in Deutschland. Sie ist eine öffentliche (...) Bibliothek mit konkreten Zielen pädagogischer Arbeit. Sie steht vor allem jungen Deutschen und ihren Lehrern zur Verfügung, aber nicht
nur zur Verfügung; sie geht von sich aus auf junge Menschen und ihre Lehrer zu. Diesem Ziele dient natürlich zunächst die Präsenz der Bibliothek selbst als Leihanstalt, aber auch: ein Bulletin, eine
Schriftenreihe (…), eine Dokumentensammlung (…). Vortragsreihen, vor allem Aussprachen in Schulen und Universitäten.“
Schallück sah sehr klar die Notwendigkeit, die junge Generation aktiv anzusprechen, eine Herausforderung, vor der die Germania Judaica auch heute immer noch und wieder steht. Dass er mit seiner aktivistischen politischen Bildungsarbeit die insgesamt doch wenigen Menschen, die sich für sie ehrenamtlich und professionell engagierten, überforderte, sah er vielleicht nicht so klar. So war sein Rückzug aus der Germania Judaica höchst bedauerlich, aber möglicherweise auch unvermeidlich. Seine Verdienste um die Germania Judaica schmälert dies in keiner Weise, und seine Ansprüche an ihre Wirksamkeit sind nicht weniger aktuell als vor über 60 Jahren.
Vielen Dank.
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