Ortsgeschichte
Im Wandel der Zeiten
Dorfplatz vor der Kirche Sankt Vitalis in Köln-Müngersdorf
Text: Peter Speier
Fotos: Ute Prang | Peter Speier | Monika Frei-Herrmann | Manos Meisen
Diese Dokumentation entstand im Rahmen des Gasthörer- und Seniorenstudiums an der Universität zu Köln. Zum Abdruck in BlickPunkt Müngersdorf wurden Kürzungen und Änderungen vorgenommen.
Beitrag aus BlickPunkt 29
Abseits der großen romanischen Traditionskirchen und ihren Vorplätzen erscheint es ebenfalls lohnenswert und interessant, sich exemplarisch mit einem Kirchplatz außerhalb des alten Stadtgebietes
Kölns zu befassen, der alt und jung zugleich ist. Der Dorfplatz in Müngersdorf vor der Kirche St. Vitalis hat einerseits eine nahezu 1000-jährige Geschichte, ist auf der anderen Seite aber erst acht
Jahre alt, da der umbaute Raum über Jahrzehnte im letzten Jahrhundert nur noch Durchfahrtsstraße und Parkplatz war. Erst im Jahre 2008 ist er neu gestaltet worden. Es ist also ein Ort, der den
kulturhistorischen Wandel eines Raumes erzählt, in dem Menschen mit unterschiedlichen Bedingungen, Bedürfnissen und Identitäten lebten und leben.
Die Topografie des Umfeldes weist Besonderheiten auf, die eine Besiedlung schon in der Jungsteinzeit interessant machten, und auch für die Zeiten nach dem Ende dieser frühen Periode gibt es Spuren
menschlicher Ansiedlung. Eine entscheidende Veränderung tritt etwa 50 v.Chr. durch die Gründung der CCAA ein, und ein wenig später schon entstehen vor den Toren der römischen Stadt große Gutshöfe,
zwei davon auch in Müngersdorf. Im fünften Jahrhundert gelang es germanischen Stämmen, die Römer aus ihrem Siedlungsgebiet am Rhein zu verdrängen.
Der erste schriftliche Beweis für das eigenständige Gemeinwesen „Mundes-torp“ schließlich ist eine Urkunde vom 25. 10. 980. Sie belegt eine Schenkung über ein Stück Land in „Mundestorp“ des
Kölner Erzbischofs Warin an die Kirche St. Aposteln. Zu Anfang des 13. Jahrhunderts dann wurden an der Stelle der heutigen Kirche St. Vitalis eine kleine Kapelle und ein Pfarrhof durch das Stift St.
Aposteln errichtet. Vielleicht ist damit auch ein erster Schritt hin zu einem Dorfplatz getan. Bekannt ist, dass die Kapelle in den Jahren 1827 und noch einmal 1849 zur Pfarrkirche erweitert
wurde.
Zunahme der Bevölkerung
Über Jahrhunderte behält der Ortskern mit der Kirche und dem Dorfplatz seinen von der landwirtschaftlichen Nutzung des Umlandes geprägten Charakter: Zehn Hofanlagen, davon drei um die Kirche herum,
bestimmen lange das Bild des Dorfes. Doch auch in Müngersdorf zeichnet sich das Industriezeitalter ab. Erste Gewerbe, zum Beispiel eine Ziegelei siedeln sich vor Ort an. Im Jahre 1888, Müngersdorf
wird nach Köln eingemeindet, steigt die Bevölkerungszahl auf etwa 1000 Bewohner an. In diesen Zeitraum fällt auch die Umbenennung der „Dorfstraße“, die schon immer Teil des Dorfplatzes war, in
Wendelinstraße.
St. Wendelin, Patron der Bauern
Der hl. Wendelin als Patron der Hirten, Schäfer, Bauern und des Viehs wurde seit Jahrhunderten von der Bevölkerung als Ortsheiliger verehrt. Im Jahre 1450 wird erstmals eine Wendelinus-Kapelle an der
heutigen Aachener Straße erwähnt. Sie war ein beliebter Wallfahrtsort. Unter französischer Verwaltung wurde das Kirchlein geschlossen und 1834 abgerissen.
Im selben Jahr hat man die Verehrung des Heiligen in die Pfarrkirche St. Vitalis mit allen Bräuchen und Feierlichkeiten verlegt, die ihren Höhepunkt bis heute in der Wendelinusoktav im Oktober
finden.
Das starke Interesse der Wallfahrer sowie der Bevölkerungszuwachs machen schließlich den Neubau einer größeren Pfarrkirche erforderlich. 1890 wird die neue, neoromanische Kirche eingeweiht. An sich
wird in dieser Epoche eigentlich der neugotische Stil favorisiert. Aber so ist St. Vitalis die erste neuromanische Kirche im Raum Köln und zitiert die Formensprache der auch historisch eng
verbundenen Kirche St. Aposteln. St. Vitalis ist weit über die Geländekante nach Osten vorgeschoben und „thront wie eine Gottesburg auf der Höhe“, wie im Internet zu lesen ist. Das Hauptportal mit
den beiden Westtürmen erreicht man über eine zweiflügelige
Treppenanlage, die zum Vorplatz mit einer Ziegelmauer abgestützt ist.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der Kirchenraum leicht zerstört und 1956 bis 1960 durch den in Müngersdorf lebenden Architekten Rudolf Schwarz neu interpretiert.
Dörfliches Leben
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verändert sich das Ortsbild zunehmend: Die Hofbesitzer verkaufen ihr Land, das zu Siedlungszwecken verwendet wird. Es entstehen mehr und mehr Wohnhäuser
in Müngersdorf, und für die Versorgung der Bevölkerung gibt es rund um den Dorfplatz an der Kirche etwa zehn Geschäfte. Feste des Kirchenjahres, besonders die Wendelinuswallfahrt im Oktober, erfüllen
den Dorfplatz mit Leben. Tische mit Devotionalien, Musik und Kirmes dienen zur Unterhaltung der Besucher.
Seit 1900 wächst der Ort weiter: Im Osten entstehen neue Wohnhäuser für die Beschäftigten der sich in Braunsfeld nun ansiedelnden Gewerbebetriebe. Die in sich geschlossene Dorfformation erfährt somit
eine erste Zergliederung.
Unter Konrad Adenauer werden 1926 die Sportanlagen des heutigen Müngersdorfer Stadions und größere Grünflächen auf Ländereien des „Kirchenhofes“ angelegt. Dieser, ehemals ein Fronhof der
Zisterzienser-Abtei Altenberg, später in Privatbesitz übergegangen, verfügte über große Ländereien südlich der Aachener Straße bis hin zur Jahnwiese. Wenige Jahre vorher waren dort auch schon die
alten preußischen Fortanlagen abgerissen worden. Das Gelände hat man dann nach Süden hin zum Grüngürtel hin umgestaltet. Dies wiederum erhöht die Attraktivität des Wohnortes, und nach Westen hin
entsteht ein neues Villenviertel. Gehobenes Bürgertum und Künstler (J. Haubrich, G. Marcks, H. Böll, H. Domizlaff, J. Jaekel, O.-M. Ungers, R. Schwarz) zieht es zum
Beispiel nach Müngersdorf.
In den 60er- bis 80er-Jahren prägen Individualisierung und ein Abrücken von kirchlichen Traditionen das Denken der Menschen. So verliert der Dorfplatz mehr und mehr seine alte Funktion und
Bedeutung.
Bei wachsendem Verkehrsaufkommen wird die Wendelinstraße, die über den Dorfplatz führt und heute Teil desselben ist, zu einem stark befahrenen Schleichweg zwischen Aachener Straße und dem
Gewerbegebiet in Braunsfeld. Die verbleibenden Flächen des Platzes verkommen aus heutiger Sicht zu Parkplätzen. Supermärkte auf der „Grünen Wiese“ lösen die kleinen Geschäfte ab, und die Bedeutung
der Kirchenfeste unterliegt einem Wandel, was sicher im Kontext mit nachlassender gelebter Religiosität zu sehen ist. Manche Häuser ringsum verfallen zunehmend, der Dorfplatz wird nicht mehr als
solcher wahrgenommen; selbst die Fläche vor der Kirche wirkt profanisiert.
Durch das Engagement von Müngersdorfer Bürgern, insbesondere durch den Bürgerverein initiiert, tritt 1997 eine positive Wende ein mit dem Ziel, in Müngersdorf wieder eine gelebte Mitte zu schaffen:
Die Wendelinstraße wird auf der Höhe des Kirchenhofes und unterhalb des Pfarrhauses für den Autoverkehr gesperrt.
Angekommen in der Gegenwart
Es dauert weitere neun Jahre intensiver Arbeit bis zur Einweihung des neuen alten Dorfplatzes vor der Kirche im Jahre 2008 in der heutigen Gestalt. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt des Amtes für
Straßenverkehrstechnik, des Bürgervereins und der Kirchengemeinde St. Vitalis und wurde in dreimonatiger Bauzeit mit einem Finanzvolumen von circa 400.000 Euro realisiert.
Panoramablick
Dominiert wird der Platz von der nun mehr als 100 Jahre alten Kirche St. Vitalis mit der großen Freitreppenanlage.
An der nordwestlichen Ecke, Wendelinstraße 67, weist eine Tafel des „Kulturpfades Müngersdorf“ auf die Bedeutung des ersten Gebäudes hin: „Der traufständige Backsteinbau ist das Herrenhaus des
ehemaligen Petershofes, der in früheren Urkunden auch Marienhof oder Liebfrauenhof genannt wird. Vermutlich schon 1262 kam dieser Hof durch eine Schenkung in den Besitz des Stiftes St. Aposteln. Als
Fronhof und Gerichtssitz hatte er eine große Bedeutung. Das spätbarocke Herrenhaus datiert von 1792. Der in napoleonischer Zeit säkularisierte Hof ging später in Privatbesitz über.“ Nach 1900 führt
hier der Metzgermeister Hackenbroich seinen Betrieb; zu Beginn der 1980er-Jahre wird das Gebäude umfassend restauriert und seitdem zu Wohnzwecken privat genutzt. Es folgen nach Süden die Gebäude
Fenger-Schöngen, Wendelinstraße 63, aus der Zeit um 1880, die ursprünglich von Landarbeitern bewohnt waren und in jüngster Zeit restauriert wurden.
An diese schließt sich ein Weinlokal, zweigeschossig, aus dem letzten Jahrhundert an, gefolgt von einem größeren Wohnhaus mit drei Etagen, das erst im Jahre 2014 renoviert und durch zwei moderne neue
Häuser ergänzt wurde.
Auf der Südseite des Platzes rechts neben der Pfarrkirche schließlich liegt der Kirchenhof, Wendelinstraße 48. „Von 1261 bis 1803 gehörte der Kirchenhof zu den Besitztümern der Zisterzienser-Abtei
Altenberg. Damals umgaben großzügige Ländereien das Gut. Eine Urkunde von 1608 beziffert die Agrarfläche auf 162 Morgen Land. … Die heutige geschlossene Hofanlage stammt aus dem 18. und
19. Jahrhundert. Das Herrenhaus mit Schopfwalmdach, dessen Inneres fast unverändert erhalten ist, datiert aus dem Jahr 1774.“ (Informationstafel Kulturpfad) 1813 beherbergte das Herrenhaus des
Kirchenhofes Napoleon Bonaparte nach der verlorenen Völkerschlacht bei Leipzig auf dem Wege nach Paris. Die an das Kirchengrundstück angrenzende Remise des Kirchenhofes wiederum wurde nach außen hin
nicht verändert und im Inneren zu einem Restaurant der gehobenen Klasse umgestaltet.
Zur Ostseite des Platzes hin schließt sich dann das mächtige Westportal der Pfarrkirche mit Türmen und Freitreppe an. Links neben der Kirche befindet sich das Pfarrhaus, ein Backsteinbau aus dem
Jahr 1880, das im Jahr 2007 vollständig renoviert wurde. Wie die Kirche auf der Kuppe liegend, hat es eine exponierte Stellung. Eine frühere gepflasterte Aufböschung, beliebter Rutschplatz für
Kinder, wurde im Jahre 2007 von der Kirchengemeinde zu einer Stufenanlage umgestaltet, die nun bei Festen und Veranstaltungen einen angemessenen optischen Rahmen und willkommene Sitzgelegenheit
bietet. Den Abschluss der Platz-Ostseite bildet ein Ensemble von drei Bürgerhäusern, die alle zu Beginn des letzten Jahrhunderts um 1914 errichtet wurden. Zwei von ihnen hatten im Untergeschoss einen
Laden.
Obwohl die Gebäude rund um den Platz aus unterschiedlichen Epochen mit sehr verschiedenen Baustilen stammen, ist es durch angemessene Restaurierung und behutsame Einfügung moderner Elemente gelungen,
eine neue Ortsmitte zu schaffen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Ausgestaltung der Platzfläche: Rund 1500 Quadratmeter hochwertiger holländischer Ziegel wurden in Fischgrätmuster hochkant
verlegt, gerastert durch Streifen aus hellerem Betonstein. Die Fläche ist ferner aufgelockert durch sechs neugestaltete Baumscheiben mit acht Bäumen und fünf Bänke aus Metall. Zudem erzeugen
außergewöhnliche Lichtstelen, verteilt über den Platz, eine ästhetisch interessante Wirkung.
Verweile doch...
Im Zuge der Neugestaltung wurde der bereits 1998 vom Bürgerverein aufgestellte römische Sarkophag, den man bei Ausgrabungen 1960 etwa 500 Meter östlich entfernt gefunden hatte, neu inszeniert. Es ist
ein Tuffquader, roh behauen und fast naturbelassen, von 120x100x70 Zentimetern Ausmaß mit einem 40 Zentimeter hohen Grabdeckel. Im Inneren befand sich ein zylindrisches bleiernes Behältnis mit
Stülpdeckel für die Asche des Toten. Das Grabmal steht sinnbildlich für die historischen Wurzeln dieses Ortes.
Neu auf dem Platz ist der Wendelinus-Trinkbrunnen vor der Treppenanlage der Kirche. Dieser versinnbildlicht den Gnadenstrom Gottes, der aus dem Kircheninneren, vom Taufbecken ausgehend, sich über die
Gemeinde ergießen soll. – In jüngster Zeit wurde auch ein Offener Bücherschrank aufgestellt. Er lädt zum Verweilen und Gedankenaustausch ein.
Somit wurden mit der Ausstattung und Gestaltung des Platzes die besten Voraussetzungen geschaffen für ein soziales Miteinander sowohl bei weltlichen als auch sakralen Veranstaltungen.
Feiern – kirchlich und weltlich
Nicht zuletzt finden verschiedene liturgische Handlungen und Feierlichkeiten wie die Palmweihe nahe des Brunnens, der Ölberggang am Gründonnerstag und die Fronleichnamsprozession hier einen würdigen
Ort. Bei dieser kommen die Gläubigen aus den umliegenden Gemeinden sternförmig zusammen und begehen die Abschlussfeier. Darüber hinaus finden auf dem Platz vor der Kirche das Pfarrfest, ein Teil der
Wendelinusoktav sowie Hochzeitsfeierlichten statt.
Erwähnenswert ist noch, dass seit 1983 zur Freude aller jedes Jahr von jungen Leuten ein Maibaum gesetzt wird, natürlich mit anschließender Maifeier. Nicht zuletzt wird ein Teil des Platzes auch von
der Außengastronomie eines Weinlokals genutzt, und bei Weinproben wird überdies die vor dem Pfarrhaus gelegene Sitz-Stufenanlage einbezogen.
„Wir haben wieder eine schöne Ortsmitte, auf der gelebt und gefeiert werden kann und die nicht nur trostlose schmuddelige Verkehrsabstellfläche ist. Damit schließen wir in den ganz kleinen Reigen von
schönen städtischen Plätzen auf.“ So Anton Bausinger in BlickPunkt Müngersdorf.
Gespräche mit Müngersdorfer Bürgern bestätigen, dass der neue Platz ein Gewinn für alle ist. Er ist sicherlich nicht mehr ein Dorfplatz im alten Sinne, da sich der Stadtteil verändert und vergrößert
hat. Neubaugebiete wie der „Egelspfad“ haben die Geschlossenheit des Dorfes aufgehoben. Dennoch bietet der Platz auch den neuen Bürgern die Chance, Gemeinsinn und Identität als Müngersdorfer zu
erfahren.
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