Wissen wir eigentlich, welchen Schatz wir besitzen?

125 Jahre Kirche Sankt Vitalis

 

Text: Ulrich-Chr. Günther

Fotos: Manos Meisen

 

Beitrag: BlickPunkt 27 | 2015

Vor 125 Jahren nach nur etwa eineinhalbjähriger Bauzeit konnte am 19. Oktober 1890 die Vitaliskirche ihrer Bestimmung übergeben werden. Architekt war Theodor Kremer, der um die Jahrhundertwende an die 30 neoromanische und neogotische Gotteshäuser entworfen hat – ein einträgliches Geschäft.  Baumeister war der Müngersdorfer Gerhard Denhoven, von dem auch die Häuser 20 und 22 in der Belvederestraße zeugen.
Wer sich vom Alten Militärring her der Kirche „auf dem Berg“ der Rheinmittelterrasse  nähert, wird sich vielleicht schon einmal gefragt haben, wie ein so ausgewogen schöner Kirchen-Ostteil dahin gekommen ist. Wer sich von Westen nähert, von der Wendelinstraße, wird sich über die beiden gewaltigen Türme gewundert haben.

 

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte das Dorf etwa 260 Einwohner, die Kirche ist aber gebaut für 1200 Gläubige (Quelle: Peter Joseph Sauren, 1897-1924 Pfarrer an St. Vitalis, Grabstätte auf dem Müngersdorfer Friedhof). Die Frage, ob ein so großes Gotteshaus angesichts dieser Zahlen gerechtfertigt war, muss zunächst offen bleiben. Die Antwort findet sich vielleicht einmal in den Archiven.
Wer sich in Köln auskennt, dem wird der Gedanke kommen, etwas Ähnliches habe ich doch schon einmal gesehen. Richtig. Wer sich vom Neumarkt St. Aposteln nähert, erkennt sofort das Vorbild für St. Vitalis. Wer außerdem die geschichtlichen Zusammenhänge Müngersdorfs kennt, weiß, dass das Stift St. Apos-teln große Besitztümer vor den Toren Kölns besaß, so auch in Müngersdorf. Der Kirchenhof gehörte dazu, auf dessen Gelände an selbiger Stelle die Vorgängerkirche stand.  
1888 wurde Müngersdorf nach Köln eingemeindet. Somit bekam unser Ort Anbindung an die Infrastruktur der großen Stadt, zum Beispiel an Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung, Strom- und Gasversorgung. Die Einwohnerzahl wuchs schnell an.  


Rückblick
1807 wird St. Vitalis erstmals eigenständige Pfarrei, zuvor bestand Personalunion mit St. Pankratius in Junkersdorf. Das hatte wirtschaftliche Gründe. Erster Pfarrer war Professor Dr. Melchior Höller, Dominikanerpater und Lehrbeauftragter der Theologischen Fakultät der Universität Köln. In seinem Testament vermachte er 800 Taler der Pfarrgemeinde für die Erweiterung der alten Kirche. Er hatte schon die Notwendigkeit einer Veränderung erkannt, was wiederum darauf schließen lässt, dass der alte Bau äußerst unzulänglich war. 1846 wird der Vorgängerbau unserer jetzigen Kirche von dem damaligen Kirchenvorstand unter Leitung von Pfarrer Johann A. G. Peil  sehr drastisch beschrieben. In einem Brief an den Bürgermeister von Müngersdorf namens Klein ist davon die Rede, dass „der bauliche Zustand der hiesigen Kirche durchaus fehlerhaft konstruiert und nicht nur der wstl. Theil, sondern auch der im Jahre 1827 stattgefundene östliche Erweiterungsbau im eigentlichen Grunde nichts anderes als Flickwerk ist, und auch der innere Raum sehr wenig seinem Zweck entspricht und sowohl der alte als neue Theil der Kirche, außer dem Baumaterial unverkennbar nichts Taugliches und Brauchbares an sich hat, wäre nach unserem Dafürhalten, es allerdings sehr zu wünschen, daß in Gemäßheit des von Herrn Baumeister ausgefertigten Gutachten, auf einen baldigen Neubau Bedacht genommen würde“. Darüber hinaus erfolgt noch das Eingeständnis, dass die Gemeinde nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfüge.
Müngersdorf war tatsächlich eine arme Gemeinde, auch wenn Familien wie Päffgen (s. „Päffgenkreuz“ am Aufgang zur Kirche) oder M. Herriger (Herrigergasse) immer wieder Schenkungen zum Zwecke eines Kirchenneubaus machten. Der Großteil der Bevölkerung war Tagelöhner, die auf den Höfen und später in den aufkommenden Ziegeleien Müngersdorfs und Braunsfelds  oder den Industriebetrieben Ehrenfelds den Unterhalt für sich und ihre Familien verdienten.

 

Wenn wir die Zeit des 19. Jahrhunderts in den Blick nehmen, dann war es ein Jahrhundert voller Umbrüche – auch für Müngersdorf.  St. Aposteln verliert zum Beispiel seine hiesigen Besitztümer, der Kirchenhof kommt in private Hände. Es ist eine große Zeit für Grundstücksspekulanten. Die Landwirtschaft wurde derart durch Pflanzenkrankheiten, zum Beispiel Kartoffelkäfer, heimgesucht, dass sie die Versorgung der Bevölkerung nicht mehr gewährleisten konnte. Das wiederum hatte zur Folge, dass es auch in Köln zu Hungersnöten kam und die ersten Auswanderungen einsetzten. Die Landbevölkerung zog es in die Städte, weil sich die Menschen neue Chancen angesichts der aufkommenden Industrialisierung erhofften. Folglich nahmen auch die sozialen Missstände zu; z.B. Adolph Kolping aus unserer Nachbarstadt Kerpen versuchte, Abhilfe zu schaffen.
Und in dieser Zeit ertönte in Müngersdorf der Ruf nach einem Kirchenneubau, der sich schon über 40 Jahre hinzog!
Endlich, im Dezember 1888, kam die Bauerlaubnis von der Bezirksregierung Köln. Dann ging alles sehr schnell. 1889 erfolgte die Grundsteinlegung, am 9. Oktober 1890 die Einsegnung und der erste Gottesdienst in der neuen Pfarrkirche. Einen großen Anteil an dem Neubau hatte der damalige Pfarrer Laurenz J. H. Thissen. Zur Festfeier der Einweihung sang der Männerverein „Lied und Lust“ auf die Melodie „Strömt herbei ihr Völkerscharen“, ein Hit zur damaligen Zeit, in einer Nachdichtung ein Loblied auf die Spender und den Pfarrer. Er verstarb 1897 in Müngersdorf. Die Gemeinde hat ihm ein ehrendes Denkmal auf dem Müngersdorfer Friedhof gesetzt. In seinem Testament verfügte Pfarrer Thissen, dass 3.000 Mark aus seinem Nachlass zum Schuldenabbau des Neubaus bestimmt seien.
Der Innenausbau der Kirche entsprach damals ganz dem Stil der Zeit. Wer davon einen Eindruck gewinnen möchte, sollte einen Ausflug nach Wesseling machen und sich St. Germanus, genannt Wesselinger Dom, anschauen. Es ist eine der wenigen neoromanischen Kremer-Kirchen, sie atmet noch den Geist der Jahrhundertwende.

 

Heute ist das Innere der Kirche klar und lichtdurchflutet, dank Modernisierung durch die Architekten Professor Rudolf Schwarz und Maria Schwarz.

 

Zurück in die Gegenwart
Als Stadtplaner Kölns zog es direkt nach dem Krieg den Architekten Professor Rudolf Schwarz nach Müngersdorf. Er erhielt den Auftrag, St. Vitalis innen umzugestalten und den Bedürfnissen der Zeit anzupassen. Und das machte er radikal in den Jahren 1959 und 1960. Auch wenn in der Folgezeit weitere Veränderungen im Innenraum vorgenommen wurden (1978, 1994, 2004), verantwortlich war nun die Architektin Maria Schwarz, ist das Innere der Kirche noch klarer und lichtdurchfluteter geworden.


Kommen Sie und entdecken Sie den Schatz inmitten von Köln-Müngersdorf. Die Kirche ist täglich außer montags geöffnet.

 

Der St. Vitalis ist eine von 18 Stationen des Kulturpfad Müngersdorf.

Buch-Tipp

 

Wolfgang Fey und Johannes Schröer
Sankt Vitalis in Köln
Mit Fotografien von Manos Meisen
120 Seiten mit ca. 90 farbigen Abbildungen

Greven Verlag Köln 2015
Gebunden | Format 21 x 27 cm | 24.90 Euro
978-3-7743-0661-5

Bürgerverein Köln-Müngersdorf e.V.
Kirchenhof 4
50933 Köln

www.bvm.koeln

info@bvm.koeln

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