Ortsgeschichte | Jahnwiese: Die Wurzeln Müngersdorfs

Reges römisches Leben entdeckt

Römisches Mosaik im Herrenhaus

Auf der Jahnwiese wurde vor 90 Jahren ein stattlicher Gutshof ausgegraben

 

Text: Kurt Schlechtriemen

Fotos: Ute Prang

sw-Repros: Römisch-Germanisches Museum Köln

Beitrag: BlickPunkt 27

Die Jahnwiese ist der Ort hinter unserem Stadion, wo Männer Fußball spielen, Kinder Schlitten fahren und manchmal, wie neulich noch, Rockbands mehr als 80 000 Fans begeistern. Bereits 1928 fand dort ein Deutsches Turnfest statt, und in den Dreißigern war sie den Nazis Bühne ihrer propagandistischen Aufmärsche.
Davor war hier Ackerland der im Ortskern ansässigen Bauern. Das sollte sich in den 20er-Jahren ändern, als man auf dem 300 mal 400 Meter großen Gelände die riesige Rasenfläche anlegte, wie wir sie heute kennen. Der Grundbesitzer musste sein Land „unter sanftem Druck Adenauers“, so eine Nachfahrin, abgeben.
Es war nötig, das Terrain, einstmals „Auf der alten Steinrutsch“ genannt, auf dem sich der Pflug immer wieder mal im harten Untergrund verhakte, etwa anderthalb Meter abzusenken.  Das rief im Januar 1926 den in Köln für römische Belange zuständigen Archäologen Fritz Fremersdorf endgültig auf den Plan. Dem war schon früher das eine oder andere über dort aufgelesene Keramikscherben zu Ohren gelangt. Der Museumsmann musste nun, wie es in seinem Bericht heißt, „in aller Eile dieVorbereitung für eine eingehende wissenschaftliche Untersuchung treffen, um den Planierungsarbeiten zuvorzukommen“. Er hatte keine Zweifel daran, auf Spuren antiken Lebens zu treffen.

 

Die Jahnwiese war 1926 eine archeologische Fundgrube

Eine Fundgrube
Und die Grabung stand unter einem guten Stern, machte Oberbürgermeister Adenauer doch einen „Sonderkredit“ locker, der Beigeordnete Schwering schickte an die 30 arbeitslose Männer zum Ausschachten, das Wetter meinte es gut, und schließlich ging auch noch die Baufirma, die die Jahnwiese als solche herrichten sollte, pleite, wodurch den Archäologen drei Wochen Zeit geschenkt wurde. Schon nach ersten Spatenstichen war zu erkennen, dass sich dort, wo sich heute die Grünfläche ausdehnt, ein ansehnlicher römischer Gutshof befunden hatte.
Zuvor sei aber noch gesagt, dass auch weitere Archäologen, Ingenieure, Firmen und städtische Ämter bei den Grabungen und deren Auswertung mitwirkten. Im Fokus der Arbeiten von März bis kurz vor Weihnachten 1926 standen das römische Herrenhaus, das man schnell freilegen konnte, aber auch elf weitere Gebäude, zwei Friedhöfe sowie die Wasserversorgung, Abfallgruben und Aborte.
Neben ersten Erkenntnissen wurde ferner bald klar, dass die Ansiedlung wohl um die Mitte des ersten Jahrhunderts unter der Ägide des Kaisers Claudius gegründet worden war, ziemlich genau also, als aus einer Ubier-Siedllung eine römische Kolonie, bekannt als CCAA, wurde. Das belegen vor allem gefundene Münzen sowie Keramik- und Glasscherben. Bestanden hat sie, so die Archäologen, bis zum Übergang des vierten zum fünften Jahrhundert, beachtliche dreieinhalb Jahrhunderte also, bis die kriegerischen Franken dem Gutsbesitzer das Leben unerträglich machten. Übrigens versäumt es Fritz Fremersdorf nicht zu erwähnen, dass auf dem Hof-areal auch vorchristliche, da-runter steinzeitliche Artefakte in Form von Feuerstein- und  Keramikresten gefunden wurden, ein weiterer Beweis für die „Siedlungsgunst“ unserer Heimat: Bereits die Bandkeramiker hatten sich hier, geologisch gesehen, am Übergang von der Mittelterrasse zur Niederterrasse vor fast 7000 Jahren wohlgefühlt, ist der fruchtbare Lössboden auf der Jahnweise doch fünf Meter tief.

Das Modell des Gutshofes zeigt das Herrenhaus, von Westen gesehen.

Grabungstechnik
Den Skizzen der Archäologen ist zu entnehmen, dass die Hofanlage ein Quadrat von 200 Metern Seitenlänge bildete; sie lag mit ihrem Zentrum, dem Herrenhaus, 200 Meter südlich vom Stadion; die anderen Gebäude befanden sich östlich davon.  
Fremersdorf und seine Männer hatten nur etwa 30 bis 40 Zentimeter tief graben müssen, um zu erkennen, welches das Haus des Besitzers und welche die Nebengebäude waren. Das gewonnene Erdreich wurde mit Schubkarren an zuvor schon abgesuchte Stellen geschafft, später dann zu den Zuschauerrängen an der Südseite des Areals aufgeschichtet, obenauf heute das Jahn-Denkmal. Um sicherzugehen, wirklich alle antiken Hinterlassenschaften aufzuspüren, erfolgten an den Grundmauern sowie im Gelände systematisch sogenannte Suchschnitte, davon allein im Herrenhaus 261. Man konnte ja auch im Hinblick auf die künftige Bestimmung des Terrains überall und beliebig tief graben, mindestens 1,50 Meter, sodass den Forschern kaum etwas Frühgeschichtliches entgangen sein dürfte. So spürten sie unter anderem auch Brunnen, Sarkophage sowie einen weiteren Friedhof und die umlaufende Schutzmauer auf. Man wird Fitz Fremersdorf beipflichten, wenn er betont, dass die Grabungsarbeiten gründlich und mit viel System erfolgten. Gleichzeitig wird aber auch gesagt, dass es immer wieder an Geld fehlte. In Köln und im ganzen Land herrschten Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot.
Das Herrenhaus
An Pfostenlöchern zeigte sich, dass es zu Beginn des ersten Jahrhunderts wohl schon ein Gebäude an der Stelle gegeben haben musste. Diese Annahme stützt der Althis-toriker und beste Kenner des römischen Kölns, Werner Eck: „Man hat erkannt, daß vielen villae rusticae, die seit dem späteren ersten Jahrhundert in Stein erbaut wurden, eine Holzbauphase vorausgegangen war.“ Gleichwohl trat das in nordsüdlicher Richtung gelegene Rechteck des Herrenhauses von 50 mal 25 Metern nach ersten Grabungen klar zutage. Anhand der verschiedenen Bauweisen und -stoffe fand man zudem heraus, dass es während 350 Jahren sechs Bauphasen durchgemacht hatte. Das dürfte ziemlich genau der Häufigkeit des Auf-, Umbauens und Verschönerns entsprechen wie heute.
Das Fundament bestand aus lose geschütteten Kieselsteinen, darüber gab es eine Schicht aus dem gleichen Material, aber gebunden mit weißem Mörtel. Insgesamt waren 29 Räumlichkeiten nachweisbar, darunter der zentral gelegene Speiseraum, eine große Küche, Wirtschaftsräume, mehrere Schlafzimmer, ein nördlich gelegener Laubengang sowie ein überdachter hölzerner Abort. Wie eine spätere Rekonstruktion durch H. Mylius ergab, war das Haus im Mittelteil wohl zweigeschossig.
Fritz Fremersdorf hebt auch hervor, dass Reste von Mosaiken und „zahlreiche Stücke geschliffener Marmorplatten“ wie auch „viele Hunderte Bruchstücke von ornamentalen und figürlichen Wandmalereien“ gefunden wurden, „aus denen eine ganze Wand wiederaufgebaut werden konnte“.  
Auch in den folgenden Zeiten herrschte auf dem Hof rege Bautätigkeit, wohl ausgelöst durch wachsende Ansprüche und zunehmenden Wohlstand. So kamen schließlich mehrere Baderäume mit sorgfältig geplanter Entwässerungsanlage hinzu, zu der ein Auffangbecken gehörte, von den Archäologen „Ententeich“ genannt. Es mag freilich verwundern, dass man sich erst spät ein Hypokaustum, eine Heizung also, leistete. Auch später noch wurden die Laubengänge vergrößert und verändert, aber auch die Baustoffe müssen nun offenbar höheren Ansprüchen genügen; sie bestehen jetzt aus Ziegeln, Bruchsteinen und Grauwacken, mit Mörtel vermauert. Ein noch genaueres Bild vom Aussehen des Besitzes erhält man, wenn man sich vorstellt, dass der Platz westlich vor dem Herrenhaus unbebaut und als Park gestaltet war.

 

Geschliffene Glasschale

Die Nebengebäude       
Was für das Herrenhaus gilt, trifft für die Nebengebäude insofern zu, als sie erst nach und nach errichtet wurden. Zunächst sei das Haus der Dienerschaft genannt, der Autor spricht von „Gesinde“; etwas kleiner, aber ähnlich gebaut wie das des Dienstherrn, ist es mit diesem zugleich entstanden. Neben anderen Annehmlichkeiten bietet es eine Herdanlage wie auch Laubengang und Abort. Fremersdorf vermutet, dass Knechte, Mägde und Viehhirten dagegen nicht hier, sondern in der Nähe der Haustiere in „Wohnstallhäusern“ (W. Eck) lebten. Alle Nebengebäude lagen überdies östlich des Herrenhauses.
Von den Wirtschaftsgebäuden erwähnt werden sollen ein gemauerter Trockenspeicher, in dem Getreide luftig gelagert wurde, sodann eine Scheune und ein offener Schuppen; er diente als Unterstellplatz für Wagen. Die zuletzt genannten Bauten waren vermutlich mit Schindeln oder Stroh gedeckt. Darüber hinaus existierten Pferde-, Schaf- und Schweineställe, alle an die 30 Meter lang, sowie noch eine offene Feldscheune. Sie waren erkennbar an Pfostenlöchern und Fundamentresten. Insgesamt konnten die Archäologen elf Nebengebäude freilegen.
Für die Fachleute ungewöhnlich war, dass der Gutshof nicht direkt an einer der großen römischen Fernstraßen gelegen hatte, es wurden auch keine Wege gefunden, die dorthin geführt hätten. Das wäre aber fast zu erwarten gewesen angesichts des vorher erfolgten Stadionbaus und früherer intensiver landwirtschaftlicher Bewirtschaftung. Immerhin fanden sich zwischen einzelnen Gebäuden mit Kiesschüttungen befestigte Stellen, die, falls sie nicht auf Wege oder den Dreschplatz hindeuteten, so aber doch auf dort verteiltes Erdreich, das beim Bau der Brunnen angefallen sein mochte.
Das führt zu der wichtigen Frage, wie das große Anwesen wohl mit Wasser versorgt worden war. Die an diesen Überlegungen Beteiligten hatten vermutet, dazu hätte der Frechener Bach gedient, der heute noch die Gräben des Stüttgenhofs speist beziehungsweise im Gelände versickert. Das Gebiet dort liegt aber niedriger als das an der Jahnwiese, folglich musste der Gutshof über das in einiger Tiefe reichlich vorhandene Grundwasser versorgt worden sein, was sich nach einigem Suchen auch bestätigte.

Löffel aus Silber | Gravur DEO GRATIAS

Dinge des Alltags
Überhaupt sei, so der Grabungsleiter an anderer Stelle, die „Ausbeute an Fundmaterial, insbesondere an Keramik auf dem ganzen Gelände des Gutshofes recht beträchtlich gewesen“. Und tatsächlich scheinen die Listen, Zeichnungen und Fotos, wo die aus jener Zeit stammenden Gegenstände verzeichnet oder abgebildet sind, nicht enden zu wollen. Was auffällt, aber kaum überrascht, ist, dass es sich überwiegend um Dinge des täglichen Gebrauchs handelt, die in verschiedenen Gebäuden, vor allem dem Herrenhaus, aber auch in Brunnen, Abfallgruben, Aborten und über das Gelände verstreut, geborgen wurden. Gleichwohl sind sie den Archäologen bis heute sehr wertvoll, dienen sie doch unter anderem dazu, Lebensweise der Bewohner und Zeitdauer der Besiedlung zu bestimmen. Noch erwähnenswert erscheint uns eine nicht beschädigte „kleine Reibschüssel aus gelbem Ton“, „Bruchstücke geschliffener Marmorplatten“, „ein eiserner Breitmeißel“. Sodann fanden sich in einem Raum des Herrenhauses ein „Webstuhlgewicht aus rotem Ton“ und in anderen Räumen „eine Hälfte eines Gürtelbeschlages“, eine „eiserne Spiralfibel“ sowie „dickwandige, bläuliche und mehrere dünnere, stark grünliche Stücke von Fensterglas“. Apropos Glas. Es sei noch angemerkt, dass unser Kölner Archäologe Fremersdorf Spezialist war für römische Glaskunst.
Die erwähnten Silberlöffel und die seltene Glasschale sind die wichtigsten Funde überhaupt, die auf der Jahnwiese gemacht wurden. Man muss indes nicht Fachmann sein, um sagen zu können, so wertvoll wie das 1960 in Müngersdorf auf dem Sidolgelände ausgegrabene, äußerst kunstvoll gefertigte Diatretglas sind sie nicht. Denn dasselbe wurde schon als das teuerste Stück des Römisch-Germanischen Museums, ja als das teuerste Glas der Welt bezeichnet und von dem ehemaligen Museumsdirektor Hansgerd Hellenkemper auf über vier Millionen Euro geschätzt.

 

Diatretglas

Römer oder Ubier?
Bei der Bewertung des auf der Jahnwiese freigelegten Besitztums ist Fremersdorf zurückhaltend, da Baulichkeiten und sonstige Funde eher die Merkmale eines landwirtschaftlichen Betriebs, nicht aber die einer prunkvollen „Villa urbana“ aufwiesen. Gleichwohl kommt er in anderem Zusammenhang noch zu einem überraschenden Schluss. Er glaubt aufgrund dessen, dass bei der Erforschung des Herrenhauses auch Siedlungsspuren aus frühen Epochen bis hin zu solchen aus der ersten Jahrhunderthälfte n. Chr. zutage getreten waren, der Gutsbesitzer kein Römer, sondern ein Einheimischer, ein Ubier, gewesen sei. Diese waren als kollaborierende Gefolgschaft schon zu Beginn des dritten Jahrhunderts in den Genuss der römischen Bürgerrechte gelangt. Aufgrund neuester umfangreicher Forschungen bestätigt Werner Eck den Archäologen in dieser Annahme. Tatsächlich unterschied sich die Lebensart der Ubier wohl auch kaum von der der Römer. Sodann ließe sich vielleicht ferner erklären, inwiefern der Gutsbesitz mit den Jahren immer größer werden konnte: Indem mit der rechtlichen Stellung Ansehen und Vermögen der Gutsherrn stetig zunahmen. Man muss im Plural sprechen, denn vielleicht wechselten die Eigentümerfamilien ja auch. Dieser Gedanke erklärt am Ende zudem, dass der Hof über die vielen Jahre hin zu einem stattlichen Anwesen mittlerer Größe wuchs, das stetig erweitert, verschönert und immer luxuriöser wurde.
Wohl infolge der fortwährenden Bedrohung durch die germanischen Franken hier außerhalb der schützenden Stadtmauern musste unser Gutshof bereits am Übergang vom vierten zum fünften Jahrhundert aufgegeben werden, während die Römer im Jahre 465 endgültig auch aus der befestigten CCAA vertrieben wurden.

 

Quellen:
• Fritz Fremersdorf: Der römische Gutshof Köln-Müngersdorf, Berlin/Leipzig 1933
• Werner Eck: Köln in römischer Zeit, Köln o.J.

Bürgerverein Köln-Müngersdorf e.V.
Kirchenhof 4
50933 Köln

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